Das Hemd des Glücklichen
«Ein Zar lag schwerkrank danieder und versprach: «Die Hälfte
meines Reiches will ich dem geben, der mich wieder gesund macht!» Da versammelt
sich alle Weisen des Landes und beratschlagten, wie sie den Zaren heilen
könnten. Aber niemand wusste Rat. Nur ein Weiser erklärte: «Wenn man einen
glücklichen Menschen findet, ihm sein Hemd auszieht und es dem Zaren anlegt,
dann wird der Zar genesen!»
Daraufhin schickte der Zar Boten aus, die in seinem Reich
einen glücklichen Menschen suchen sollten. Aber es gab keinen einzigen
Menschen, der mit allem wahrhaft zufrieden und deshalb glücklich gewesen wäre.
Der eine war zwar gesund, aber in seiner Armut unglücklich. Und wenn einer
gesund und reich war, dann war die Ehe unglücklich oder seine Kinder waren
nicht geraten. Kurz - alle hatten einen Grund, sich über etwas zu beklagen.
Da ging einmal spät am Abend der Zarensohn an einer armseligen Hütte vorüber,
und er hörte, wie drinnen jemand sagte: «Nun ist Gott sei Dank meine Arbeit
geschafft, ich habe gut verdient, ich bin satt und kann mich nun ruhig schlafen
legen. Was wünschte ich noch? Ich wüsste es nicht!» Den Zarensohn erfasste eine
große Freude. Nach seiner Rückkehr in den Palast befahl er, diesem Mann sein
Hemd auszuziehen und ihm dafür so viel Geld zu geben, wie er nur wünschte, und
dem Zaren das Hemd zu überbringen. Die Boten eilten zu dem glücklichen
Menschen, um ihm gegen schweres Gold sein Hemd einzutauschen. Aber der
Glückliche war so arm, dass er gar kein Hemd hatte...»
(Leo Tolstoi)
Wenn es das gäbe: das Hemd des Glücklichen, und alle unsere Krankheit würde
geheilt! So sehr Menschen Heilung ersehnen, man kann sie nicht so einfach
beschaffen und sich anziehen. Die Glücksehnsucht ist groß, aber wir können uns
diese Sehnsucht nicht selbst stillen. Und auch die anderen sind darin so
hilflos und überfordert. Und doch gibt es so etwas wie das Hemd des
Glücklichen. Die Bibel vergleicht die Heilung mit einem Kleid und die
Versöhnung mit einem Mantel. Beides hat uns Gott in seiner Liebe erworben und
mit dem Leiden seines Sohnes teuer erkauft. Diese Bekleidung bietet uns Gott
an. Sollten wir uns da nicht einmal ganz neu einkleiden lassen?
«Ich freue mich über den Herrn und juble laut über meinem Gott! Denn er hat mir
seine Rettung und Hilfe geschenkt. Er hat mich damit bekleidet wie mit einem
schützenden Mantel.»
Quelle: Axel Kühner, Überlebensgeschichten für jeden Tag,
Aussaat Verlag